blick auf

Ein neuer Dienstag. Für uns Pfarrerinnen und Pfarrer beginnt die Woche heute. Gestern war für viele der sogenannte Pfarrer*innen-Sonntag. Wobei im Moment irgendwie jeder Tag wie ein Sonntag ist. Ruhig, ohne Zeit, ein wenig verloren in sich und der Welt, trotz vieler Arbeit. Wenn dieser Zustand einmal in der Woche herrscht, dann ist das schön. Wenn er die ganze Zeit seinen Platz einfordert, ist es unangenehm und verstörend. Dass das Leben weiterläuft wurde mir deutlich, als ich in der Kirche drei Männer antraf, die den neuen Beamer und die Leinwand montierten. Man glaubt an eine Zukunft. Natürlich tun wir das, was sollen wir denn sonst tun. Blick auf. Auf das, was kommt. Auf das, was uns Pläne schmieden lässt.

In Zagreb bebte am Sonntagmorgen die Erde. Die stärkste Erschütterung seit 140 Jahren. Eine 15-Jährige starb an den Verletzungen durch herunterfallende Trümmer. Viele Menschen sind im Spital. Die Spitze der Kathedrale von Zagreb fiel zu Grunde. Die Menschen rannten auf die Strasse, aus ihrer befohlenen Isolation. Hinaus, dorthin, wo es bei einem Erdbeben am sichersten ist. Hinaus, dorthin, wo einer den anderen mit dem Corona-Virus ansteckt. Man solle Abstand halten, wurde den Flüchtenden gesagt. Die Erde hat gebebt. Und die Welt hat die Nachricht kaum wahrgenommen. Blick auf das, was nicht zuvorderst steht. Blick auf das, was uns auf-weckt.

Wo sich isolieren, wenn kein Zuhause ist? In den Flüchtlingslagern auf der ganzen Welt und in den Bundesasylzentren wird Corona zu einem ganz anderen Schrecken, als wir es uns hier vorstellen können.
Blick auf. Auf den Schrecken. Aber auch auf das, was uns Hoffnung macht.

Denn: Abstand halten, Hände waschen, möglichst Zuhause bleiben. Es sind Gebote, die wir zum Glück einhalten können. Die Umstände erlauben es uns. Mehr als fünf Personen zusammen: Verboten. Aber es ist nicht verboten, sich zu freuen. Gott sei Dank. Es ist nicht verboten auch einmal über etwas anderes als das Virus zu sprechen und zu schreiben. Und ja, mir ist es bisher noch nicht gelungen. Ich gebe mir Mühe, versprochen. Es ist nicht verboten einander Briefe zu schreiben, den Garten zu pflegen, ein Glas Wein zu trinken, die Fenster zu putzen oder einen Regenbogen zu malen.
Es ist nicht verboten Musik zu hören. Und deshalb teile ich eines meiner aktuellen Lieblingslieder mit euch. Blick auf! Die Freude!



Kommentare

  1. Auch für mich hat der Beinahestillstand nebst beängstigenden auch schöne Seiten. So habe ich beobachtet, dass kaum mehr Verkehrsflugzeuge am Himmel zu sehen sind; der Luft dort oben tut das sicher gut. Mehr Leute als sonst spazieren bei uns vorbei und grüssen freundlich, auf Distanz ergibt sich öfters selbst mit Fremden ein kurzer Schwatz. Viele scheinen mehr Zeit zu haben als sonst, und man besinnt sich darauf, was einem eigentlich wichtig ist.
    Ausserdem haben wir bereits Frühlingsputz gemacht, und endlich mal befasse ich mich mit Skype, weil es den Kontakt zu den Menschen da draussen erleichtert und weil Sitzungen wenn möglich online abgehalten werden sollten.
    Beruhigend finde ich, wie die Natur unbeirrt ihren gewohnten Lauf geht. Die aus dem Winterschlaf erwachten Schildkröten schlagen sich die Bäuche mit frischem Grün voll, die Amseln singen bereits frühmorgens was das Zeug hält, und die wilden Stiefmütterchen blühen um die Wette – wie um uns zu versichern: es wird ganz bestimmt weitergehen!

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