systemrelevant

Wenn frau keine Kinder hat und eine Badewanne, die Woche im Büro und am Telefon abgeschlossen ist, dann sind lange Bäder Pflichprogramm im Lockdown. Lange Bäder mit Badezusätzen wie "Balsam für die 
Seele". Es ist erstaunlich, wie kreativ Menschen sind, wenn es um die Erfindung von Namen und Beschreibungen für Schönheits- und Wohlfühlprodukte geht. Da steht dann so etwas wie: Tun Sie Ihrer Seele etwas Gutes, verwöhnen Sie Ihre Haut mit den liebevoll ausgepressten Blüten einer ökologisch angebauten Bio-Rose (ihr wurde Zeit ihres Lebens Frischluft, Auslauf sozusagen, garantiert) und lassen Sie Ihre Sinne zur Ruhe kommen. Vollbäder sind (wenn auch an sich schon wenig ökologisch) sehr entspannend. Ich weiss, für die geplagten Eltern im Home Office klingt das nach fernen, kaum zu verwirklichenden Träumen. Vor Corona träumte man von zwei Wochen Malediven, nach Corona wird man mit Freudenjauchzern die Kinder in die Schule schicken und keine weiteren Wünsche haben. Ehre, wem Ehre gebührt: Nämlich den Lehrerinnen und Lehrern. Kinderlose Menschen werden, den Tränen nah, vor dem vollen Regal mit Toast stehen und wunschlos glücklich sein. Aber zurück zu den Vollbädern (jetzt muss ich ununterbrochen an knusprigen Toast denken...). Da frau sich heutzutage, also während Corona, einzig über soziale Netzwerke, Zeitungs-Apps und Facetime am Leben erhält, kommt das Smartphone natürlich mit in die Badewanne. Und da stellt sich mir auf einmal die grosse Frage: Sind Swisscom-Shops nicht auch systemrelevant? Stellt euch vor: Euer Smartphone, eure einzige Verbindung nach draussen, euer zuverlässiger Lieferant von Corona-Todeszahlen, euer persönlicher DJ und Freund fällt ins Wasser. Ausgerechnet jetzt. Jahrelang ist dieses Drama in einem Akt nie geschehen. Nicht einmal ansatzweise. Aber jetzt, in dieser "ausserordentlichen Lage", fällt es euch ins Wasser und ist nicht wieder zu beleben, auch nicht nach tatkräftiger Mund-zu-Mund-Beatmung. Kein Geschäft ist geöffnet, kein Handy-Spital, kein Verkäufer neuer Smartphones. Ja, da kann dann nicht einmal mehr die schöne Flasche mit Badezusatz etwas am Notstand ändern.

Dies alles ist natürlich nie geschehen und wird (Gott bewahre!) hoffentlich nicht geschehen. Weder mir noch euch. Und wenn doch, dann wissen wir alle, dass es Wichtigeres gibt. Leben retten zum Beispiel. Und trotzdem möchte ich mir und euch erlauben, auch über die kleinen Dinge zu lachen, zu weinen, zu streiten, zu erschrecken. Systemrelevant ist vor allem eines: Unser aller Gesundheit. Und dazu gehört nicht "nur" Virenfreiheit. Sondern auch die Gesundheit der Seele. Und unsere gesunde Seele braucht die kleinen, lustigen, alltäglichen, völlig banalen Gedanken und Gegebenheiten. Unsere gesunde Seele braucht diesen wohltuenden Balsam.

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